Abnahme als Rettungsanker
„Abnahme als Rettungsanker“? – Ein gefährliches Spiel mit der Verjährung
Die Abnahme galt in der Praxis lange als taktisches Instrument: Geriet ein Bauvorhaben ins Stocken oder verweigerte der Unternehmer die Fertigstellung, erklärten Bauherren die Abnahme, um dadurch neue Gewährleistungsrechte auszulösen. Dieses Vorgehen – oft als „Abnahme als Rettungsanker“ bezeichnet – soll verhindern, dass Ansprüche ins Leere laufen.
Doch diese Strategie wankt. Gerichte und Literatur stellen zunehmend klar: Eine Abnahme kann keine bereits verjährten Herstellungsansprüche in neue Mängelrechte verwandeln.
Zunehmend strenge Rechtsprechung
Bereits das OLG Rostock (Urteil vom 02.02.2021 – 4 U 70/19, nicht rechtskräftig) entschied, dass der Erfüllungsanspruch des Bauherrn vor den Mängelrechten verjähren kann. Damit stellte es sich bewusst gegen die Linie des OLG Hamm (Urteil vom 30.04.2019 – 24 U 14/18), das einen Gleichlauf angenommen hatte. Auch jüngere Stimmen in der Literatur ZfBR 2025, 328 ff.)) betonen, dass eine Abnahme oder ein sogenanntes „Abnahmesurrogat“ nicht geeignet ist, verjährte Ansprüche zu neuem Leben zu erwecken.
Das OLG Stuttgart (Urteil vom 02.04.2024 – 10 U 13/23, ebenfalls nicht rechtskräftig) hat zudem hervorgehoben, dass aus seiner Sicht Mängelrechte spätestens 15 Jahre nach Fälligkeit der Leistung enden müssen. Ein faktisch unverjährbares Recht sei mit den Grundsätzen des BGB unvereinbar.
Noch keine höchstrichterliche Entscheidung
Auffällig ist: Der Bundesgerichtshof (BGH) hat diese Kernfrage bislang offen gelassen. Ob und unter welchen Voraussetzungen der Erfüllungsanspruch eigenständig vor dem Nacherfüllungsanspruch verjähren kann, ist damit höchstrichterlich nicht entschieden. Es handelt sich also um eine rechtspolitisch wie praktisch äußerst bedeutsame, aber noch ungeklärte Streitfrage.
Das Dilemma der Bauherren
Für Bauherren ergibt sich daraus ein erhebliches Problem: Wer die Abnahme hinauszögert, läuft Gefahr, dass der Erfüllungsanspruch verjährt und sich später keine Mängelrechte mehr begründen lassen. Wer dagegen die Abnahme erklärt, obwohl wesentliche Mängel bestehen, riskiert, seine Position zu schwächen, da mit der Abnahme auch wichtige Gefahrenübergänge und Zahlungsverpflichtungen verbunden sind.
Mit anderen Worten: Bauherren werden in ein Dilemma gedrängt. Sie sollen die Abnahme erklären, um ihre Ansprüche nicht zu verlieren – und das selbst dann, wenn das Werk objektiv nicht abnahmereif ist. Diese Situation ist systemwidrig, weil sie die Abnahme vom Instrument der Qualitätskontrolle zum taktischen Zwangsmittel gegen die Verjährung umfunktioniert.
Kritische Würdigung
Die Linie der Obergerichte mag aus dogmatischer Sicht konsequent erscheinen, führt aber in der Praxis zu erheblichen Unsicherheiten. Gerade private Bauherren verfügen nicht über die rechtlichen und technischen Mittel, um frühzeitig komplexe Verjährungsfragen zu erkennen und rechtzeitig Maßnahmen zur Hemmung einzuleiten. Ohne höchstrichterliche Klärung bleibt die Gefahr, dass Bauherren ihre Rechte verlieren, obwohl sie in guten Treuen auf eine ordnungsgemäße Fertigstellung vertraut haben. Konsequenz der um sich greifenden Unsicherheit kann sein, dass alsbald nach dem Termin zur vereinbarter Fertigstellung geklagt werden muss, um alle Ansprüche sicher zu erhalten.
Praxistipp justitia
Bauherren sollten nicht auf die „Abnahme als Rettungsanker“ vertrauen. Wer zu lange zuwartet, riskiert die Verjährung seiner Ansprüche; wer vorschnell abnimmt, riskiert rechtliche Nachteile trotz bestehender Mängel. Der sicherste Weg ist die frühzeitige anwaltliche Beratung und eine klare Strategie, um die eigenen Rechte konsequent zu sichern – sei es durch verjährungshemmende Maßnahmen oder durch abgestimmtes Vorgehen gegenüber dem Unternehmer.
Annette Ganser
Rechtsanwältin