Erleichterte Durchsetzung von Verzögerungsnachträgen?
Entschädigungsansprüche ausführender Unternehmen bei gestörtem Bauablauf?
Der Eintritt von Bauablaufstörungen ist in Anbetracht zumeist zu ambitionierter Terminwünsche der Bauherrn heute eher die Regel als die Ausnahme. Da wird jede Störung zum Zankapfel. Und wie immer geht es ums Geld. Der BGH hat einmal mehr ein Machtwort in seit ewigen Zeiten unter Juristen umstrittene Fragen gezogen.
Der BGH bringt eine Erleichterung für die Durchsetzung von Verzögerungsnachträgen. Zugleich wird der Umfang der Ansprüche aber eingeschränkt. Es gibt also weniger Geld, das ist dafür aber leichter zu erstreiten.
Annette Ganser, Rechtsanwältin
Je größer ein Bauvorhaben ist, desto wahrscheinlicher ist es, dass es bei seiner Ausführung zu Störungen des Bauablaufs kommt. Deren Ursachen sind vielfältig und nicht alle stammen aus dem Verantwortungsbereich des Auftraggebers. In der Sphäre des Auftraggebers liegt es allerdings beispielsweise, das Baugrundstück zur Verfügung zu stellen, die Baugenehmigung beizustellen, ausführungsfähige Pläne zur Verfügung zu stellen (keine Vorabzüge!) und vieles anderes mehr, das sich abschließend kaum aufzählen lässt.
Kommt es zu Verzögerungen bei der Beistellung solcher Mitwirkungshandlungen des Bestellers, so regelt § 642 Abs. 1 BGB:
„Ist bei der Herstellung des Werks eine Handlung des Bestellers erforderlich, so kann der Unternehmer, wenn der Besteller durch das Unterlassen der Handlung in Verzug der Annahme kommt, eine angemessene Entschädigung verlangen.“
Diese seit Jahrzehnten unverändert im BGB befindliche Regelung führte lange Zeit ein Schattendasein. Vor allem aber waren sich die Gelehrten uneinig, wie denn die „angemessene Entschädigung“ zu berechnen sei und was darunter zu verstehen sei. Diese Diskussionen hat der BGH 2019 insoweit beendet, als er feststellte, dass ein Anspruch auf eine „angemessene Entschädigung“ jedenfalls kein voller Schadensersatzanspruch sei, aber auch kein Vergütungsanspruch. Dagegen spreche schon die Formulierung des Gesetzgebers. Es handle sich um einen Anspruch sui generis, also einen Anspruch eigener Art, für den es quasi nichts Vergleichbares gebe. Dem Auftragnehmer stehe also weder die Vergütung wie bei einer freien Kündigung zu (§ 648 BGB; gesamte Vergütung abzüglich ersparter Aufwendungen und anderweitigen Erwerbs), noch ein voller Schadensersatzanspruch. Da sich diese Rechtsprechung des BGH in erster Linie darauf bezog, was der Auftragnehmer nicht beanspruchen kann, bestand Bedarf an einer Festlegung des höchsten Zivilgerichts, was der Aufragnehmer denn nun eigentlich nach Ansicht des BGH beanspruchen kann.
Mit Urteil vom 30.01.2020 legte der BGH nunmehr fest, dass die Vergütung für unnütz vorgehaltene Produktionsmittel während der Zeit des Annahmeverzugs (z. B. Behinderung) der Maßstab für die Höhe der zu beanspruchenden Entschädigung ist. Die volle Vortrags- und Beweislast für den Umfang der nutzlos vorgehaltenen Produktionsmittel einschließlich des Nachweises, dass diese auch nicht auf anderen Baustellen sinnvoll eingesetzt werden konnten, obliegt dem Unternehmer.
Allerdings räumt der BGH dem jeweils zur Entscheidung des berufenen Gerichts eine erhebliche Beweiserleichterung ein. Denn er fordert eine Abwägungsentscheidung des Tatrichters, bei der die angemessene Entschädigung im Ausgangspunkt an den auf die unproduktiv bereitgehaltenen Produktionsmittel entfallenden Vergütungsanteilen einschließlich der Anteile für allgemeine Geschäftskosten sowie Wagnis und Gewinn zu orientieren sei.
Im Ergebnis dürfte das bei künftigen Entscheidungen zu angemessenen Entschädigungen nach § 642 BGB praktisch zu einer Schätzung durch den Tatrichter führen. Dem Unternehmer wird es also obliegen, hinreichend geschickt und detailliert vorzutragen und vorzurechnen, damit der Tatrichter darauf basierend eine Abschätzung treffen kann. Mit der Berufung sind derartige Abschätzungen als tatrichterliche Entscheidung auch so gut wie nicht mehr angreifbar, bestenfalls im Falle grober Logikfehler oder Rechenfehler.
Die angemessene Entschädigung im genannten Umfang kann der Unternehmer allerdings nur für den Zeitraum des Annahmeverzugs (z. B. Behinderung) beanspruchen. Andere Mehrkosten, die möglicherweise entstehen, weil sich Folgen des ursprünglichen Störereignisses über den Bauverlauf auch nach Wegfall des störenden Ereignisses noch fortsetzen, führen nicht dazu, dass die angemessene Entschädigung für derartige Zeiträume zusätzlich beansprucht werden kann!
Im Ergebnis beschränkt der BGH den Entschädigungsanspruch wegen unterbliebener Mitwirkungshandlung des Bauherrn also auf den Zeitraum von dessen Annahmeverzug. Die Höhe der Ansprüche beschränkt er auf Vergütungsanteile der unproduktiv bereitgehaltenen Produktionsmittel, die auch nicht anderweitig eingesetzt werden konnten, einschließlich Wagnis und Gewinn. Der Nachweis hierfür wird für den Unternehmer einfacher zu führen sein, weil eine schlüssige Darlegung nebst Beweisangeboten ausreichen wird, um dem Tatrichter seine Abwägungsentscheidung zu ermöglichen. Auf den Nachweis des letzten Euro wird es anders als bisher also nicht mehr ankommen.
Annette Ganser, Rechtsanwältin
justitia PartGmbB Rechtsanwälte + Bauingenieure