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Sein oder Nichtsein: Die HOAI nach dem EuGH-Urteil

Der Europäische Gerichtshof hat sich mit Urteil vom 04.07.2019 mit der Wirksamkeit der HOAI auseinandergesetzt. Wer gedacht hatte, damit sei nun geklärt, dass die HOAI grundsätzlich nicht mehr anzuwenden sei, irrt jedoch. Schon in der Woche nach Ergehen des EuGH-Urteils haben zwei Oberlandesgerichte diametral unterschiedliche Entscheidungen dazu getroffen, ob die HOAI zwischen Teilnehmern des Rechtsverkehrs nun weiter als zwingendes Preisrecht anzuwenden sei oder nicht. 

„Einmal mehr beweisen Juristen, dass auch der Spruch eines obersten Gerichts nicht das Ende der Debatte sein muss.“

Sebastian Heene, Rechtsanwalt + Bauingenieur, Fachanwalt für Bau- und Architektenrecht

Hintergrund ist, dass die Entscheidung des EuGH im Rahmen eines sog. Vertragsverletzungsverfahrens erging, in dem die Europäische Kommission die Bundesrepublik Deutschland wegen des Erlasses der HOAI verklagt hatte mit dem Argument, dass diese der EU-Dienstleistungsrichtlinie widerspreche. Im Rahmen dieses Vertragsverletzungsverfahrens lautete die Entscheidung des EuGH, dass die Vorgabe obligatorischer Mindest- und Höchstsätze für Honorare nur aus einem zwingenden Grund des Allgemeininteresses zulässig wäre, den die Bundesrepublik Deutschland im Rahmen des Verfahrens nicht hinreichend dargelegt habe. Nun gilt das allgemeine Grundsatzurteil zunächst einmal zwischen den am Rechtsstreit beteiligten Parteien. D. h. die Bundesrepublik Deutschland wird sich gegenüber der Europäischen Union einmal mehr milliardenschwere Geldbußen eingehandelt haben. Aber wirkt diese Entscheidung auch zwischen Vertragsparteien im Wirtschaftsleben, die an dem Vertragsverletzungsverfahren vor dem EuGH nicht beteiligt waren?

Verkürzt stellen sich die dazu unter Juristen ausgetauschten Ansichten wie folgt dar:

Nur die Bundesrepublik war Verfahrensbeteiligte

Die eine Ansicht vertritt, dass nur die Bundesrepublik Deutschland aus vertikaler Wirkung Staat‑Bürger gebunden sei, sich also nicht mehr auf Mindest- und Höchstsätze berufen könne. D. h. das Ausscheren aus den Mindest- und Höchstsätzen der HOAI kann nicht mehr zum zwingenden Ausschluss aus Vergabeverfahren führen. Eine horizontale Wirkung, also zwischen gleichberechtigten Teilnehmern am Rechtsverkehr existiere hingegen nicht.

Bindungswirkung für staatliche Gerichte?

Die Gegenmeinung stützt sich hingegen darauf, dass in der Entscheidung ganz allgemein keine Rechtfertigung und damit inzident die objektive Unwirksamkeit der Mindest- und Höchstsatzvorgaben der HOAI festgestellt worden sei. Außerdem sei es jedenfalls so, dass staatliche Organe die Mindest- und Höchstsatzbindung nicht mehr berücksichtigen dürften. Zu diesen staatlichen Organen würden auch die Gerichte zählen.

Auch in der Richterschaft ist die Diskussion darum, ob Mindest- und Höchstsätze nun noch anzuwenden sind oder nicht, geteilt. Es scheint sich allerdings die überwiegende Meinung herauszubilden, dass die Mindest- und Höchstsatzbindung in Urteilen nicht mehr berücksichtigt werden darf.

Welche Bedeutung hat die HOAI dann noch?

Der EuGH hat nur festgestellt, dass die zwingende Bindung an Mindest- und Höchstsätze unzulässig sei. Der Rest der HOAI ist in jedem Fall noch anzuwenden. Das bedeutet, dass beispielsweise in den zahllosen Verträgen, in denen das Honorar explizit an die HOAI angelehnt wurde, deren Regelungen vertragsrechtlich einbezogen wurden und damit gelten. Auch in Fällen, in denen insgesamt oder teilweise überhaupt keine ausdrücklichen Regelungen zur Höhe des Honorars getroffen sind (derartige Fälle gibt es etwa im Verbraucherbereich in der Praxis durchaus), gilt, dass die HOAI die übliche Vergütung darstellt, auf die im Zweifel zurückzugreifen ist. Da schließt sich dann die Frage an, ob die Mindest- oder eher die Mittelsätze die übliche Vergütung darstellen. 

Was allerdings künftig Bestand hat und in der Praxis häufig vorkam, sind mindestsatzunterschreitende Pauschalhonorarvereinbarungen, die nicht mehr mit der Begründung angegriffen werden können, sie verstießen gegen die zwingenden Mindestsätze der HOAI.

Der EuGH hat also einen Pflock gegen die HOAI eingeschlagen, ohne deren Bedeutung vollständig zu beseitigen. Was im Zweifel gelten soll, wird künftig eine Frage des Einzelfalls sein, zumal eine finale Festlegung des BGH, welche Wirkungen das EuGH-Urteil zwischen Teilnehmern am Wirtschaftsverkehr haben soll, bislang fehlt.

Abzuwarten wird auch sein, ob und wie die Bundesrepublik Deutschland auf das Urteil reagiert. Denn die HOAI wurde als Bauherrnschutzgesetz eingeführt, um ruinösen Preiswettbewerb zwischen Planern zu verhindern. Das hat auch durchaus seine Berechtigung, weil die Schäden, die ein schlecht bezahlter und damit mutmaßlich schlecht leistender Planer für das Bauwerk und den Bauherrn haben kann, häufig um ein Vielfaches oberhalb dessen liegen, was an Honorar „eingespart“ wurde. Auch ist es nicht so, dass der EuGH grundsätzlich ausschloss, dass Mindest- und Höchstsätze zwingend vorgeschrieben werden können. Er verlangt lediglich einen zwingenden Grund des Allgemeininteresses für solche Vorgaben. Diesen sah er nicht gegeben, weil die Regelungen der HOAI für die Erbringung von Planungsleistungen durch Dienstleister, die auch andere als Planungsleistungen erbringen, nicht zwingend waren. Der Bundesgesetzgeber hat aufgrund des Urteils des EuGH nun innerhalb eines Jahres zu reagieren. Er wird sich, falls er neuerlich Mindestsätze als verbindlich festlegen will, eine überzeugende Begründung dafür schaffen müssen.

Dipl.-Ing. Sebastian Heene, Rechtsanwalt + Bauingenieur
justitia PartGmbB Rechtsanwälte + Bauingenieure